Protokoll zum 76. Tumor - Kolloquium am 18.06.03
1. Besprechung der letzten Sitzung:
Das Vorgehen bei G.H. wird erneut diskutiert. In der Zwischenzeit gab es Diskussionen, ob eine Laparoskopie oder eine Laparotomie erfolgen solle und ob eine Adnektektomie unbedingt notwendig sei. Herr Reinschmied berichtet, daß inzwischen eine Laparotomie erfolgt ist. Herr Pollak hat das Gewebe untersucht und keine weiteren Tumorherde gefunden. Herr Farrokh ergänzt, daß die Möglichkeit einer Laparoskopie nicht bestanden habe, da infolge einer früheren Blinddarmoperation ausgedehnte Verwachsungen vorhanden gewesen seien. Herr Müller, Salzwedel (heute nicht anwesend), hatte bei seinen Recherchen eine Publikation gefunden, in der ein Müller‘ scher Mischtumor im Stadium I durch eine postoperative Bestrahlung eine bessere lokale Kontrolle und ein besseres Gesamtüberleben habe. Herr Pollak wirft ein, daß es sich bei dieser Patientin nicht um einen Müller‘ schen Mischtumor handele sondern um ein
Stromasarkom, einen reinen bindegewebigen Tumor.Von der Arbeitsgruppe Stegner, Hamburg, gibt es Berichte, daß bei Stromasarkomen hoher Malignität die Bestrahlung einen Vorteil bietet, nicht aber wie in diesem Fall bei geringer Malignität. Es wird nochmal hervorgehoben, daß im vorliegendem Fall trotz vaginalem Vorgehen der Tumor intakt entfernt worden ist, so daß keine intraoperative Aussaat zu erwarten ist. Unter diesem Gesichtspunkt wir empfohlen, keine postoperative Bestrahlung durchzuführen.
Herr Reinschmied geht auf die Protokollierung des Berichtes von Herrn Neumann über die 1. Sentinel - Lymphknotenoperation ein. In dem geschilderten war der
Sentinel - Lymphknoten tumorfrei. Es wurde dennoch eine Axillaausräumung durchgeführt. Dieses wird von Herrn Richter - Mendau bestätigt. Da die Methode noch neu ist, soll bei den ersten 25 Fällen zur Sicherheit auch bei negativem Sentinel die Axillaoperation erfolgen. Danach sollen die Fälle in die Kieler KISS - Studie, die von Herrn Dr. Ostertag betreut wird, eingegeben werden.
2. Fallvorstellungen:
2.1. P.G. * 10.03.1940, vorgestellt von Fr. Dr. Kraudelt, Salzwedel,
Bei Frau P. lag ein primär weit
fortgeschrittenes Mamma - Ca. vor. Nach bioptischer Sicherung 10/00 erfolgte zum Down - Staging eine Chemotherapie mit 4 Zyklen FEC. Bei der Ablatio 01/01 war das Tumorstadium pT2 pN1bi (6/16) M0. Postoperativ bildete die Patientin ein ausgeprägtes Armödem aus. Aus diesem Grunde wurde auf eine postoperative Bestrahlung verzichtet. Es folgten 2 Zyklen FEC, dann Tamoxifen. 08/02 Knochenmetastasen BWK 5. Therapie Zometa.03/03 1. Axillarezidiv: Umsetzen auf Femara
05/03 2. Axillarezidiv: Therapie: 6 Zyklen ET
Die gezeigten Bilder zeigten ein
monströses Armödem mit praktisch funktionslosem Arm. Bei weiterer Progredienz kann der Gefäßstamm des Armes soweit komprimiert werden, daß eine Amputation erforderlich wird. Trotz regelmäßiger Metastasensuche hat die Patientin ausschließlich Knochen-metastasen. Unter Behandlung mit Zometa kann die Lebenserwartung ohne weiteres mehrere Jahre betragen. Frau P. wird daher die Progredienz des Axillarezidivs und die mögliche Konsequenz einer Armamputation erleben. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Strahlentherapie sinnvoll.
2.2. B. A. * 18.01.1957, vorgestellt von CA Dr. Wagner, Innere Med. I
12/98 erfolgte die brusterhaltende Therapie eines Mammakarzinoms mit Defektdeckung durch einen Latissimus dorsi - Flap. Das Tumorstadium war pT1c N0 (0/11) M0 G3. Postoperativ 2 x 3 Zyklen CMF, Bestrahlung der Brust im Sandwich-Verfahren und GNRH - Analoga.
06/03
Pericarderguß, Pleuraergüsse, Ascites, unklarer Milzherd sowie intraabdominale Lymphknoten. Es werden CT‘ s mit einem bedrohlichen Pericardeguß gezeigt. Dieser hat zu einem venösen Rückstau geführt, so daß das Kontrastmittel über Scapularvenen abfließt. Im Pleuraerguß wurden keine Tumorzellen nachgewiesen, wohl aber im Pericarderguß. Die Tumorzellen waren rezeptornegativ und HER2neu - negativ. Vorgeschlagene Chemotherapie: Antracyclin und Taxan. Allgemeine Zustimmung.
2.3. M. J. * 27.02.1950 vorgestellt von CA Dr. Wagner, Innere Med. I
02/01 distales
Rektumkarzinom pT3 pN2 (12/17) M0 L1 V1 G3. Adjuvante Radiotherapie nach dem NCI - Protokoll. 04/03 inkompletter Dünndarmileus infolge im kleinen Becken lokalisierter Darmobstruktion. Herr Wagner demonstriert CT - Bilder, auf denen tumorverdächtige Infiltrate im mesenterialen Gewebe in der Nähe des Zäkums sichtbar sind. Herr Bahnsen weist darauf hin, daß wegen der hohen Risikosituation eine etwas höhere Dosis von 59,4 Gy eingestrahlt wurde. Die gezeigten Feldfotos zeigen, daß die höhere Dosis nicht mit der Lokalisation der tumorverdächtigen Formation übereinstimmt. Auch der nachgewiesene Tumormarkeranstieg spricht für ein malignes Geschehen. Chirurgische Intervention erforderlich. Herr Henschen fragt nach den Überlebenschancen. Herr Wagner berichtet, daß metastasierte kolorektale Karzinome median etwa 18 Monate überleben.
2.4. S. H.-D. * 26.03.1943 vorgestellt von Frau OÄ Dr. Müller, Innere Med. I
Nach Operation und Nachbestrahlung eines
Hypopharynxkarzinoms entwickelte Herr S. Lungenmetastasen. Einige Monate später traten Knochenmetastasen auf. Eine Chemotherapie mit Cisplatin brachte zunächst eine partielle Remission. Jetzt ist der Patient aber progredient. Insbesondere im Bereich des Sternums besteht eine symptomatische Metastase. Herr Wagner schlägt vor, Taxol weekly, z. B. 40 mg/m² zu geben. Eine Bestrahlung des Sternums könnte parallel dazu erfolgen.
2.5. J. E. * 01.10.1941 vorgestellt von Dr. Raabe, Orthopädie
Herr Raabe berichtet erneut über Herrn J.. Der Patient hatte nach einem Bronchialkarzinom eine
pathologische Schenkelhalsfraktur rechts entwickelt. Die Fraktur war kurze Zeit nach Bestrahlung der Metastase entstanden. Es erfolgte die Ausräumung der Metastase und eine Verbundosteosynthese mit 9-Loch-Winkelplatte. Bei dem über 100 kg schweren Patienten kam es nach einem Sturz zu einer Fraktur der Winkelplatte. Inzwischen erfolgte die Implantation einer Tumorendoprothese MUTARS Filia. Nach diesem Eingriff konnte der Patient trotz seines Übergewichtes mobilisiert werden.
2.6. W. K.-D. * 02.01.1943
vorgestellt von Frau OÄ Dr. Müller, Innere Medizin IBei Herrn W ist seit 01 / 02 eine
B-CLL im Stadium B nach Binèt bekannt. Ferner mehrere Jahre Auslandsaufenthalt in Afrika. 09/02 Aufnahme wegen hohem Fieber und Gewichtsverlust. Lymphozytose 98% bei 458 Leukozyten Gpt/l. Hepatosplenomegalie, intraabdominale Lymphknotenvergrößerung. Das Knochenmarksbild spricht für eine B-CLL. Nach Leukeran - Gabe progrediente Leukozytose. Umstellung auf COP. Nach 4 Zyklen Therapie Pause wegen Urosepsis. Trotz Antibiotikagabe keine Entfieberung. Wegen des Auslandsaufenthaltes Verdacht einer Tropenkrankheit und Verlegung ins Tropeninstitut Hamburg. Dort kein Erregernachweis. Entfieberung nach Steroidgabe. Wegen dekompensierter Tachy-arrhythmie Verlegung in die Kardiologie. Nach mehrfachem Wechsel der Klinik und zahlreichen Komplikationen verstirbt der Patient unter einem septischen Bild. Bei der Sektion wird ein fortgeschrittener Morbus Hodgkin entdeckt. Die Beziehungen zwischen B-CLL und Morbus Hodgkin werden ausführlich dargestellt. Beide Erkrankungen stammen von Keimzentrumszellem ab. Es besteht eine Assoziation zu EB - Virus-Infektionen. Es wird festgestellt, daß ein Morbus Hodgkin nur aus einer Lymphknotenhistologie nachgewiesen werden kann, nicht aber aus dem Knochenmarksausstrich. Rückblickend ergeben sich aus dem Knochenmarksausstrich Hinweise auf das Vorliegen eines Morbus Hodgkin. Herr Pollak stellt dar, daß B-CLL und Hodgkin unterschiedliche Komplementrezeptoren aufweisen. Ob eine frühere Diagnose das Leben hätte retten können, bleibt fraglich, da die bei Morbus Hodgkin üblichen, sehr aggressiven Schemata bei dem sehr reduzierten AZ nicht anwendbar gewesen wären.
Prof. Dr. med. Jens Bahnsen
Chefarzt Radioonkologie